Mehr als die Hälfte der Deutschen ist von sexuellen Problemen betroffen. Ob diese Probleme als Belastung empfunden werden, ist individuell unterschiedlich. Durch die Unwissenheit und Unsicherheit im Umgang mit sexuellen Herausforderungen und Problemen, vernachlässigen viele Menschen Sexualität als Bestandteil ihrer Gesundheit.
Nachdem ich selbst meine ersten sexuellen Erfahrungen gemacht hatte und merkte, dass sich Sex irgendwie anders anfühlte als in den Zeitschriften beschrieben, habe ich angefangen mich damit auseinanderzusetzen.
Ich musste schnell feststellen, dass nur wenige Menschen gerne offen über Sex und Herausforderungen in Bezug auf Sexualität sprechen.
So wie Sex immer noch in der Gesellschaft ein Tabuthema ist, war es das auch lange Zeit in der Forschung. Es gibt selbst heute nur wenige Studien zum sexuellen Wohlbefinden sowie zu Sexualität und Gesundheit. Dazu kommt, dass die meisten Studien und Forschungsarbeiten hauptverantwortlich von Männern durchgeführt wurden. Dadurch wurden Aspekte wie die weibliche Lust und die Bedeutung der Klitoris meiner Meinung nach bisher nicht ausreichend wissenschaftlich erforscht.
Was Kennzahlen hinsichtlich Studien in der Sexualität betrifft, muss immer eine gewisse Verzerrung berücksichtigt werden. Z.B. gibt es Untersuchungen, die besagen, dass auf die Fragestellung „Wie oft haben Sie Sex?“ kaum ehrliche Antworten gegeben werden. Warum? In der Regel aus Scham. Das gesellschaftliche Meinungsbild darüber, wie häufig man Sex haben müsse, ist so stark, dass sich viele nicht trauen, die Wahrheit zu sagen.
Aktuelle Studienergebnisse zu sexuellen Problemen weisen darauf hin, dass es in Deutschland im Themenfeld sexuelle Gesundheit einen hohen Bedarf an Aufklärungsangeboten und Informationsvermittlung gibt.
Viele Frauen und Männer vernachlässigen Sexualität als Bestandteil ihrer Gesundheit. Unter anderem, weil Unwissenheit und Unsicherheit im Umgang mit sexuellen Herausforderungen und Problemen herrschen. Dieser Problemstellung möchten wir uns mit Feel Inside annehmen.
Was sind sexuelle Probleme?
Herausforderungen können direkt angegangen werden. Probleme hingegen sind immer komplex. Da das komplexe Phänomen Sexualität viele Einflussfaktoren hat, treffen wir häufiger auf sexuelle Probleme als auf sexuelle Herausforderungen.
Wenn sexuelle Probleme über einen längeren Zeitraum bestehen und die Schwere des Symptoms und der Leidensdruck zunimmt, wird in der Medizin von einer sexuellen Funktionsstörung oder einer sexuellen Dysfunktion gesprochen.
Grundsätzlich werden gesundheitliche Herausforderungen und Krankheitsbilder unter anderem durch die WHO (Weltgesundheitsorganisation) definiert und eingeordnet. 2022 ist die elfte Ausgabe ihrer International Statistical Classification of Diseases (ICD-11) in Kraft getreten.
Auch die Klassifikation von sexuellen Funktionsstörungen wurde in diesem Rahmen überarbeitet.
Die ICD-11-Diagnoseleitlinien unterteilen sexuelle Dysfunktionen in diese Hauptgruppen:
Dysfunktion des sexuellen Verlangens
Dysfunktion sexueller Erregung
Orgasmische Dysfunktion
Ejakulatorische Dysfunktion (frühzeitige oder verzögerte Ejakulation)
Sexuelle Schmerz-Penetrations-Störung (Dyspareunie, Vaginismus)
Weitere sexuelle Schmerzstörungen
Von den sexuellen Funktionsstörungen abzugrenzen, sind die sexuellen Verhaltensstörungen, auch wenn es aus klinischer Sicht eine große Überlappung gibt. Darunter fallen z.B. Hypersexualität, Sexsucht, sexuelle Impulsivität und sexuelle Zwanghaftigkeit. In der Praxis sind die häufigsten Probleme in diesem Bereich exzessive Masturbation und die Nutzung von Pornografie.
Wie viele Deutsche sind von sexuellen Problemen betroffen?
Es gibt viele Studien aus den USA zur Sexualität von Menschen. Seit letztem Jahr gibt es auch eine repräsentative Studie mit Zahlen für Deutschland.
Von Oktober 2018 bis September 2019 wurde durch das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf die GeSiD-Studie durchgeführt, mit dem Ziel erstmalig belastbare Daten über Sexualität und Gesundheit in Deutschland zu haben. Es wurden 4955 Menschen zwischen 18 und 75 Jahren befragt.
Dabei wurden Daten über sexuelle Funktionsstörungen erhoben, angelehnt an die Hauptkategorien der neuen ICD-11-Leitlinien.
Die Ergebnisse der Studie sind augenöffnend. Denn herausgekommen ist, dass 73% der Frauen und 55% der Männer in Deutschland von mindestens einem der Probleme, die zu sexuellen Funktionsstörungen zählen, betroffen sind.
Bezogen auf die bisherige Lebensspanne kam vermindertes sexuelles Verlangen bei nahezu einem Drittel der befragten Männer und mehr als der Hälfte der Frauen vor.
Weiterhin hatten mehr als 40 % der Frauen im Laufe ihres Lebens Probleme mit sexueller Erregung.
Unter vermindertem sexuellem Verlangen und verminderter sexueller Erregung leiden die meisten Frauen.
Orgasmus Probleme kamen bei Frauen etwa doppelt so häufig vor wie bei Männern und Frauen fühlten sich besonders durch Schmerzen im Zusammenhang mit der sexuellen Aktivität beeinträchtigt.
Bei Männern sind vorzeitige Ejakulation und erektile Dysfunktion die häufigsten sexuellen Funktionsstörungen.
Ob diese Probleme auch als Belastung erlebt werden, ist individuell unterschiedlich und hängt häufig vom Alter und der Partnerschaftssituation ab.
Entscheidend ist dabei, die Empfindung, die eine Person in Bezug auf das sexuelle Problem hat.
Die Ergebnisse der GeSiD-Studie zeigen im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen der Belastung durch sexuelle Probleme und dem Alter, z.B. dass bei Männern mit zunehmendem Alter der Anteil derer steigt, die ein reduziertes Verlangen als stark beeinträchtigend empfinden. Bei Frauen ist das Gegenteil der Fall: Dieser Anteil sinkt mit zunehmendem Alter.
Ein Thema wird unabhängig vom Alter immer als Belastung wahrgenommen: Schmerzen beim Sex. Dieses Problem ist besonders für junge Frauen zwischen 18 und 25 Jahren sehr belastend.
Partnerschaften verstärken den Leidensdruck durch sexuelle Probleme in der Regel. Denn an dieser Stelle kommen noch Beziehungs- und Bindungsaspekte hinzu, die oft Angst und Scham Gefühle mit sich bringen.
Der individuelle Umgang mit einem sexuellen Problem hat auch einen großen Einfluss darauf als wie belastend es empfunden wird. Begegnen wir dem Problem mit Scham und Angst Gefühlen, dann nimmt die emotionale Belastung dadurch zu.
Unwissenheit und Unsicherheit im Umgang mit sexuellen Herausforderungen und Problemen trägt auch dazu bei, dass sie als Belastung erlebt werden.
Weiterhin sind fehlende Achtsamkeit und ein Mangel an offener und ehrlicher Kommunikation Faktoren, die die empfundene Belastung durch sexuelle Probleme verstärken.
Meine Botschaft an dich: Trau dich, deine Fragen zu stellen, deinen Herausforderungen und Problemen in Bezug auf Sexualität Raum zu geben und fang an Sexualität als Bestandteil deiner Gesundheit Aufmerksamkeit zu schenken.
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