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Warum ist deine Sexualität wie sie ist? Das komplexe Phänomen menschlicher Sexualität verstehen

Wenn es in der Sexualität nicht so läuft, wie wir es uns wünschen, geben viele von uns den körperlichen Aspekten die Schuld. "Ich bin zu alt", "ich bin zu eng", "ich werde einfach nicht feucht genug". Nach dem Erklärungsmodell des Sexocorporels sind es Komponenten aus vier verschiedenen Bereichen, die Einfluss auf unsere Sexualität nehmen: nicht nur körperliche Aspekte, sondern auch mentale und emotionale sowie Beziehungsaspekte.  


Habt ihr euch schonmal gefragt, warum eure Sexualität ist wie sie ist? Was hat oder hatte einen Einfluss auf sie? 

Um das komplexe Phänomen menschlicher Sexualität zu erklären, gibt es verschiedene Ansätze. Aber auch wenn die Sexualwissenschaft mittlerweile wesentliche Aspekte unserer Sexualität erforscht hat, sind heute immer noch viele Fragen hinsichtlich der menschlichen Sexualität ungeklärt. 

Ein weit verbreitetes Erklärungsmodell, welches auch die Basis für unsere Arbeit bei Feel Inside bildet, ist das Konzept des sogenannten Sexocorporel. Sexocorporel ist ein innovatives Erklärungsmodell der menschlichen sexuellen Funktionalität, was alle Komponenten, die die menschliche Sexualität ausmachen, berücksichtigt. 

Sexocorporel wurde in den 70ger Jahren an der Universität von Quebec in Montreal, Kanada, durch den Sexualforscher Jean-Yves Desjardins erarbeitet. Erst in den letzten Jahren hat es dieser Ansatz über Kanada und die USA, in die Schweiz und schließlich zu uns nach Deutschland geschafft.  

Mittlerweile wird der Sexocorporel von vielen als umfassendes und wissenschaftliches Modell für sexuelle Funktionalität und sexuelle Gesundheit anerkannt und in der Sexualberatung genutzt.  

Die Basis der Forschungsarbeiten zu Sexocorporel bilden wissenschaftliche Erkenntnisse aus klinischen Studien und Erfahrungen mit Probanden und Probandinnen.  

Das Besondere an diesem Modell ist die ganzheitliche Sicht auf die Sexualität eines Menschen. 

Nach Sexocorporel setzt sich das Phänomen menschlicher Sexualität aus verschiedenen Komponenten zusammen, die in die folgenden vier Bereiche eingeteilt werden:  


1) Körperliche Komponenten 

2 )Mentale Komponenten 

3) Emotionale Komponenten 

4) Beziehungskomponenten 

 

Zwar interagieren die verschiedenen Bereiche miteinander und eine klare Zuordnung mancher Komponenten in einen der vier Bereiche ist nicht immer möglich, aber durch die künstliche Trennung in unterschiedliche Bereiche, lässt sich das komplexe Phänomen Sexualität in seiner Vielfalt einfacher betrachten und erforschen.  

Anhand dieses Modells ist es in der Sexualberatung möglich das sexuelle Profil des Klienten/der Klientin zu verstehen und mögliche Ursachen für sexuelle Probleme ausfindig zu machen.  

 

Körperliche Komponenten – Die biologische Basis menschlicher Sexualität 

Der Körper bildet die biologische Basis der Sexualität. Zum einen bestimmt er das anatomische Geschlecht: weiblich, männlich oder intersexuell und zum anderen prägt der Körper die sexuelle Funktionalität. Der Prozess, der sich physiologisch und vegetativ im Körper während der Erregung abspielt, kann wissenschaftlich eindeutig nachgewiesen werden, da er messbar ist. 

In diesem Bereich wird zum Beispiel in der Sexualberatung gemeinsam erforscht, was dich sexuell erregt. Wodurch wird bei dir der körperliche Erregungsreflex ausgelöst? Ist es ein Duft? Passiert es, wenn du etwas bestimmtes hörst? Etwas anregendes siehst?  

Weiterhin wird in diesem Bereich beobachtet, wie du gelernt hast deine Erregung zu steigern. Wie weit kannst du sie steigern? Wie schnell? Wodurch?  

Es geht darum, zu beobachten und zu verstehen, was körperlich bei Erregung passiert, nicht wie es sich anfühlt. Nur zu beobachten, was körperlich passiert ist gar nicht so leicht. In der persönlichen Beratung unterstützen wir dich dabei und geben dir Tipps. 

 

Mentale Komponenten – Alles, was sich zu Sex im Kopf abspielt 

Den zweiten Bereich bilden mentale Komponenten. Dieser Bereich umfasst alles, was wir über Sexualität gelernt haben, denken und glauben. Das heißt zum einen geht es um Wissen und Unwissen hinsichtlich Sexualität. Aber auch um Glaubenssätze und Idealisierungen, die sich in Bezug auf Sexualität gebildet haben. Diese werden durch Gebote und Verbote sowie gesellschaftliche Stereotypen wie zum Beispiel Geschlechterrollen geprägt.  

Sich der eigenen Glaubenssätze bewusst zu werden und damit unterscheiden zu können, was ein Fakt ist und was wir dadurch, dass wir es viele Jahre geglaubt haben, ein Fakt zu sein scheint, kann einen großen Einfluss darauf haben, den Zugang zur eigenen Sexualität zu finden.  

 

 

Emotionale Komponenten – Erleben und Gefühle in Bezug auf Sexualität  

Der dritte Bereich umfasst emotionale Komponenten. Also alles, was sich innerlich als emotionale Prozesse abspielt. Im Sexocorporel wird dieser Bereich als die sexodynamische Ebene bezeichnet. Zum leichteren Verständnis verwenden wir jedoch den Begriff emotionale Ebene.  

Hier werden verschiedene Komponenten zugeordnet. Zum einen das Gefühl in Bezug auf das eigene Geschlecht, d.h. das Gefühl der Geschlechtszugehörigkeit, auch "psychologisches Geschlecht" genannt. Fühlen wir uns weiblich? Fühlen wir uns männlich? Und vor allem: Fühlen wir uns wohl mit dem Geschlecht, das wir haben? 

Auch das sexuelle Selbstvertrauen fällt in den Bereich der emotionalen Komponenten. Sehen wir unseren Körper als begehrenswert an? Fühlen wir uns attraktiv?  

Die Beweggründe für sexuelles Verlangen sind ebenfalls auf der emotionalen Ebene zu finden. Warum haben wir Sex? Weil wir es körperlich wollen? Weil wir nach Bestätigung suchen? Weil es uns Spaß macht? 

Genau wie das sexuelle Verlangen und die Erfahrung sexueller Lust. Empfinden wir Vergnügen oder Frustration? 

Auch die sexuellen Anziehungscodes, also von was wir sexuell angezogen werden, was wir attraktiv finden, spielt hier eine Rolle. Das ist nicht zu verwechseln mit dem, was uns sexuell erregt.  

Und dann spielen in diesem Bereich noch sexuelle Fantasien, Wünsche und Bedürfnisse eine Rolle. 

 

Geist und Seele werden oft unter dem Begriff Psyche zusammengefasst. Sexocorporel macht hier jedoch eine Unterscheidung, um die Komplexität der Sexualität, wie oben beschrieben, aufzuschlüsseln und die einzelnen Komponenten zu trennen. 

 

Beziehungskomponenten – Sexualität im Kontext von Partnerschaft 

Im Bereich der Beziehungskomponenten ordnet man alle Komponenten, die damit zu tun haben, wie wir mit Sexualität im Kontext einer Partnerschaft umgehen. 

Dabei spielt das Bindungsmuster, das wir haben, eine besonders wichtige Rolle. Dieses wird sehr früh in der Kindheit geprägt. Je nach Bindungsmuster brauchen wir ein unterschiedliches Maß an Nähe oder Distanz. 

Nicht selten ist es in Partnerschaften so, dass Personen ein unterschiedliches Verhältnis dazu haben, wie viel Nähe und Raum sie für sich brauchen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz ist auch für die Lust und das Verlangen sehr wichtig. 

Häufig ist es so, dass wenn Paare sehr viel Zeit miteinander verbringen, sie die gleichen Hobbys teilen und sich irgendwann nicht mehr groß voneinander differenzieren, das Verlangen aufeinander weniger wird. Eine gewisse Distanz befeuert die Lust aufeinander. Das muss keine räumliche Distanz sein. Sondern es geht eher darum, sich als Individuum in einer Partnerschaft nicht zu verlieren und zu sehr mit der anderen Person zu verschmelzen.  

Bei den Beziehungskomponenten geht es auch darum, dass man für das, was man für sich selbst will, einstehen kann und dies auch kommuniziert. Wie ehrlich und offen können und wollen wir das, was uns erregt, mit unserem Partner teilen?  

Ein gewisses Maß an erotisches Know-How kann dafür hilfreich sein. Vor allem ist es wichtig zu wissen, was man selbst möchte, aber auch die Vorlieben des Partners/der Partnerin zu kennen.  

Dadurch können wir besser verführen, was auch ein Aspekt im Bereich der Beziehungskomponenten in Bezug auf unsere Sexualität ist.  

 

Sexuelle Probleme sind immer durch mehrere Faktoren bedingt 

Ich möchte deutlich machen, dass Komponenten auf der körperlichen Ebene, wie zunehmendes Alter oder hormonelle Veränderungen, nur ein Aspekt des Gesamtsystems sind, das die Sexualität beeinflusst. Körperliche Einschränkungen müssen also nicht unbedingt der Grund für sexuelle Unzufriedenheit sein. 

Wenn Personen zur Beratung kommen, haben sie meist eine eigene Vermutung, was die Ursache für ihr sexuelles Problem ist. Sie reduzieren es oft auf einen Grund: „Ich kann mich nicht entspannen“, „Meine Frau hat keine Lust“, „Mein Körper ist halt so“  

Oft folgt dann der Satz "Aber sonst ist alles in Ordnung". Im Laufe der Zusammenarbeit, wenn die Bereiche Körper, Geist, Seele und Beziehung im Detail unter die Lupe und analysiert werden, stellt sich heraus, dass es noch mehr Probleme gibt als die, die an der Oberfläche sichtbar waren. 

Deshalb spreche ich auch über sexuelle Probleme. Denn ein Problem zeichnet sich dadurch aus, dass es komplex ist und nicht auf die gleiche Weise gelöst werden kann, wie es entstanden ist. Außerdem haben Probleme immer mehrere Ursachen oder bestehen aus verschiedenen Komponenten. 

In den nächsten Monaten wird es zu den einzelnen Bereichen weitere Infos und auch immer wieder praktische Übungen geben.  

An allem kann gearbeitet werden, auch an den fest verankerten Glaubenssätzen. Je nach Situation braucht es einfach Zeit und neue positive Erfahrungen. 

 

Quellen: Sexocorporel und sein Beitrag zur klinischen Sexologie - ISP Zürich & Uster (isp-zuerich.ch) , Ausbildungsunterlagen „Soham Institut Hamburg“ 



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